Gefährliche Liebe

Vor einigen Jahren erzählte meine Mutter von einer Busreise, bei der sie eine Frau und deren etwa 26-jährige Tochter kennengelernt hatte. Die Tochter machte einen elenden Eindruck: Während der Fahrt übergab sie sich fast ununterbrochen, war kalkweiß und dünn wie ein Strich, wie meine Mutter berichtete. Beunruhigt sprach meine Mutter die beiden an und erfuhr, dass sich der langjährige Freund der Tochter gerade von ihr getrennt hatte. Die Frau erklärte: „Ich dachte, eine Reise würde meiner Tochter helfen, auf andere Gedanken zu kommen. Aber sie kommt einfach nicht über diesen Verlust hinweg.“ Als meine Mutter mir von diesem Vorfall erzählte, fügte sie hinzu: „Hoffentlich hat sie es überlebt.“ Dieser Zusatz ließ mich erstmals realisieren, dass eine Trennung jemanden tatsächlich töten kann.

Heutzutage betrachten wir Trennungen oft als weniger dramatisch. Sie werden eher wie ein Umzug dargestellt, nichts Besonderes, so zumindest wird es uns suggeriert, und viele verhalten sich entsprechend. Ein Journalist, der dieser Meinung war, verlängerte seine Beziehung alle drei Monate mit seiner Freundin. Ein Freund schlug mir einmal vor: „Elfie, wie wäre es, wenn wir die nächsten zwei Jahre zusammen wären?“ Wie ist es möglich, dass die Erkenntnis, dass Trennungen tief in die Seele eingreifen können und dort bleibenden Schaden anrichten oder sogar tödlich sein können, heute in Vergessenheit geraten ist? Über die Gründe kann man spekulieren, und sicherlich spielt der Einfluss der Medien eine Rolle.

In den Medien erfahren wir meist nur die Klatschseite einer Trennung, eine interessante Neuigkeit, die die Tragweite verharmlost. Da die Betroffenen selbst nicht als leidende Verlierer dastehen wollen, verstärken sie dieses verzerrte Bild. Es entsteht der Eindruck eines amüsanten „Bäumchen wechsel dich“-Spiels. Ich habe selbst den Einfluss der Medien erlebt.

Als der Spiegel vor einigen Jahren den Titel „Ehe light“ brachte, hatte ich vier Paare in der Paarberatung. Sie kamen, um ihrer Ehe eine weitere Chance zu geben. Nach dem Artikel trennten sich alle vier Paare, mit der zweifelhaften Begründung: Wenn sich alle in einer ähnlichen Situation wie wir trennen, dann ist es wahrscheinlich richtig, dass auch wir das tun. Ein weiterer Grund, warum wir heute lockerer mit Trennungen umgehen, könnte im Verlust der Autorität der Kirche liegen. Die Furcht vor Gottes Strafgericht hindert heute kaum jemanden daran, das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ zu übertreten.

Mehr Gewicht in diesem Punkt hätte heute wahrscheinlich die Wissenschaft. Wenn sie uns beweisen könnte, dass Trennungen genauso tödlich sein können wie Krebs, würden wir vermutlich respektvoller mit dem Thema umgehen. Doch das gestaltet sich schwierig. Ein gebrochenes Herz entzieht sich wissenschaftlichem Beweis. Besonders dann, wenn das Leiden unterschwellig verläuft und der gebrochene Mensch erst nach Jahren erkrankt. Dann sieht kaum jemand den Zusammenhang. Dann heißt es, er ist an Herzversagen oder Krebs gestorben, aber nicht an der Wucht der Trennung. Wenn der Wegweiser der Kirche belächelt wird und die Wissenschaft keinen klaren Wegweiser aufstellt, kann dann jeder machen, was er will?

Das scheint zumindest unsere heutige Realität zu sein, zumindest wenn es um Trennungen geht. In meiner psychologischen Praxis habe ich festgestellt, dass Menschen zunehmend brutaler miteinander umgehen und es billigend in Kauf nehmen, wenn der andere aus der Bahn geworfen wird, erkrankt oder stirbt – nach dem Motto: Sterben müssen wir alle einmal. Es scheint eine Tendenz zu geben, dass Mitgefühl als handlungsbestimmender Maßstab unmodern wird. Wenn meine Beobachtungen zutreffen, hat das zur Folge, dass wir in eine Welt gleiten, in der die Liebe stirbt.

Der Hauptgrund, warum wir die Bedeutung von Trennungen vergessen haben, liegt meiner Meinung nach im Rückgang des Bewusstseins, in der Abnahme der Fähigkeit zu empfinden, was dem Menschen guttut und was ihm schadet. Wir verlieren allmählich die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden. Woran liegt das? Was machen wir falsch?

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der männliches Denken den Ton angibt. Männer denken tendenziell sachorientiert, und Frauen werden von Kindesbeinen an dazu erzogen, aufzuschließen. Unser Leben und Überleben speisen sich jedoch primär aus Empfindungen und Mitgefühl. Hier bringen Frauen natürlicherweise die größere Begabung mit. Solange Frauen sich auf die männliche Seite schlagen, bleibt ihre natürliche Begabung brach. Gefühle kommen zu kurz, die emotionale Dimension einer Trennung wird nicht erkannt – zumindest nicht, bis es einen selbst betrifft.

Eine Frau, die durch ihre Trennung völlig aus der Bahn geworfen wurde, die zuvor nie geahnt hatte, dass es solch lebensbedrohliche Seelenzustände geben könnte, vertraute mir an: „Ich habe mir geschworen, dass mir niemand ansehen soll, wie schlecht es mir geht.“ Sie wusste, dass sie von niemandem aus ihrem Freundeskreis Verständnis erwarten konnte, denn das hätte sie vor ihrer eigenen Erfahrung auch nicht gehabt. Sie berichtete: „Ich habe einem Freund meinen Kummer anvertraut und den Satz gesagt: ‚Ich habe ihn geliebt.‘ Seine Antwort traf mich wie ein Schock und banalisierte meine Gefühle. Er sagte: ‚Aber wir lieben ihn doch alle,‘ und meinte damit meinen Ex. Er wollte und konnte meinen Kummer nicht akzeptieren.“ Trennungen bewältigt man strahlend.

Ein anderer rechtfertigte Trennungen mit dem Argument: Ein Paar ist ja nicht blutsverwandt. Das stand im Kontext seiner Liebe zu seinen Kindern. Nach dem Motto: Die Ehefrau wegzuschicken ist in Ordnung. Mit den Kindern verhält es sich anders, die sind ja blutsverwandt. Warum kann eine Trennung solch tiefe seelische Wunden reißen, dass sie einen Menschen töten kann? Dass diese Frage heute überhaupt gestellt werden muss, zeigt, wie weit wir uns vom Menschen und seinem Empfinden entfernt haben. Meine Mutter hätte auf diese Frage mit Unverständnis reagiert: „Wie kannst du das fragen? Das ist doch so.“ Und dann hätte sie mir mehr Beispiele aus ihrem engeren und weiteren Bekanntenkreis aufgezählt, als ich hören wollte, um ihre Überzeugung zu untermauern.

Besonders schwer trifft es junge Frauen, die sich oft ohne es zu ahnen tief verlieben und einem natürlichen Instinkt folgen, indem sie sich ihrer großen Liebe weit öffnen. Verabschiedet sich dieser Mann, dann fühlt sich diese Frau wie ausgelöscht, und es vergehen häufig viele traurige Jahre, bis sie sich wieder freuen kann. Es gibt aber auch viele Frauen, die es nicht schaffen. Ein etwa 30-jähriger Mann erzählte mir von seiner Mutter. Als er drei Jahre alt war, verließ sein Vater ihn und seine Mutter. Damit erlosch der Lebenswille seiner Mutter. Schon als Dreijähriger spürte er, dass seine Mutter nur noch lebte, um ihn auf den Weg zu bringen. Genau so kam es. Er durchlief die Schule, absolvierte ein Studium und konnte sich auf seine Mutter verlassen. Als er nach der Probezeit in dem Unternehmen, in dem er arbeitete, seine Festanstellung bekam, lebte seine Mutter noch drei Monate und starb. Für den Sohn war klar, dass sie die Trennung von seinem Vater nie verwunden hatte.

Am schlimmsten trifft es Frauen, die von ihrer großen Liebe ein Kind erwarten und in der Schwangerschaft verlassen werden. Als ich meiner Mutter von einem solchen Fall erzählte, sträubten sich ihr die Haare. Sie sprach dann von einem verwerflichen Menschen und niederem Charakter. Wenn eine Frau sich verliebt, beginnt ein seelischer Prozess, der beide zu einer Einheit zusammenschweißen will. Vergleicht man einen Menschen mit einem Baum, so wird sie zur Blüte, abhängig vom Baum, und bereitet sich darauf vor, Frucht zu bringen. Lässt sie diese Veränderung zu, gewinnt sie an Schönheit und Lebenskraft und gleitet in eine Verfassung, die am ehesten als reines Sein umschrieben werden kann. Allerdings um den Preis, dass ihre persönlichen Ambitionen oder beruflichen Ziele tendenziell verschwimmen. Sie wird zu einer Kraftquelle für ihn.

Doch nicht jede Trennung ist gleich. Es gibt glückliche Trennungen, über die man im Nachhinein froh ist. Dann gibt es solche, die nach einer Woche oder einem halben Jahr überwunden sind. Dass es auch die anderen gibt, die verletzen oder töten können, wird häufig erst dann bekannt, wenn sie zum persönlichen Schicksal werden.

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